Zu Besuch bei entfernten Verwandten

Entfernte Verwandte besuchst du nur, wenn es sich rentiert; Schweden oder mindestens Europa. Die Dialoge da sind rar, die Luft rauchgeschwängert. Die Möbel sind immer aus der Zeit gefallen; das waren sie bereits, als du noch ein Kind warst. Beige oder in irgendeinem Braunton gehaltene Polsterstühle mit geschwungenen Lehnen, etwas zu ausladend und fast immer den Anschein erweckend, als ob sie das Gewicht der mächtigen Sitzpolster mitsamt der oft nicht weniger gewichtigen Verwandtschaft überhaupt nicht tragen könnten. Und immer sieht alles so aus, als liege eine feine Staubschicht, ein dünner gräulicher Schleier über allem. Auf den goldenen und silbernen Bilderrahmen an der Wand, die entweder pausbäckige, je nach eingefangenem Moment trotzige oder lachende Kindergesichter oder aber Postadoleszente, in irgendeiner Uniform oder vor dem elterlichen Automobil posierend zeigen, die mit ernster Miene auf den bleichen Gesichtern einer wenig hoffnungsvollen Zukunft, Arbeit oder Ehe entgegenblicken. Auf dem roten Perserteppich, dessen Schwere die wohl unzähligen Schritte der Bewohner und Besucher im Laufe der Jahrzehnte tragen musste. Auf den angelaufenen Kännchen, Krügen und Bechern aus Silber oder Zinn liegt etwas ebenso Schweres. Zwischen all diesen Gegenständen, in der stickigen, abgestandenen Luft, die keinen Gedanken an Freiheit entstehen lassen könnte, wenn man es wollte, sitzt du nun auf einem hellbraunen, fleckigen Cordsamtsofa und bemühst dich aufrichtig, wenigstens einen kleinen Teil, irgendetwas aus deiner Gegenwart in diesen Raum zu zwängen – vergeblich. Am besten, du gehst bald und verlässt alles so, wie du es beim nächsten Mal vorfinden wirst. Lass alles unberührt und unangefochten, Jahre vergehen. Am Ende räumst du alles aus und fragst dich, ob es derselbe Staub ist, auf den Stühlen, auf den Rahmen, auf den Dingen.