Immer noch dasselbe. Es nützt ja nichts. Und zwar alles rein gar nichts. Warum sollte ich mich weiter an allem aufreiben? Endlich tut auch der Arm wieder weh, der Kopf sowieso und die Augen, ach, die Augen und die Nase ist auch schon wieder zu – was geht ab? Der Mensch ist nichts als ein schleimiger Haufen Organe, zusammengehalten von ein paar verkürzten Sehnen, dazwischen Knochen, Verknöchertes, gammeliges Fleisch, das selbst vor zehn Jahren schon nicht mehr frisch war. Knie kaputt, Halswirbel verdreht, Muskeln wie altes Brot. Ich warte auf die Tauben.
Ich warte auf den einen, der zu mir ins Dachgeschoss kommt, verkleidet als Taube. Er versteht mich. Ich koste von seinem Schnabel. Er ist fast wie ein Mensch, aber eben nur fast. Ich schütte ihm etwas Wasser in ein Schälchen, stelle es ihm hin. Er trinkt, es sieht aus wie Picken. Er pickt, es sieht überhaupt nicht aus wie Trinken. Plötzlich will ich es nicht mehr. Ich stehe auf und gehe wie in Trance zum Küchenschrank, ziehe die Schublade auf und nehme eine Gabel mit langen Zinken heraus. Der Taubenmann bemerkt nicht, wie ich langsam hinter ihm den schmerzenden Arm mit der Gabel in der Hand erhebe und gar nicht richtig überlege, wo ich reinstechen will, sondern den Arm einfach fallen lasse, beinahe beiläufig, aber eben super heftig. Die vier blanken silbernen Zinken dringen tief in den Kopf des Taubenmannes, ich lasse sie einen Moment darin stecken, um nachzuspüren, was sich dadurch für mich jetzt verändert hat, gefühlsmäßig, meine ich. Dabei hält der Taubenmann ganz still. Er hat aufgehört, zu trinken, er hat aufgehört zu warten, bald hört er auf, zu sein, denkt er. Streng genommen weiß er das nicht, es könnte sein, dass er mit bleibenden Schäden weiterlebt, kognitiv stark eingeschränkt zwar, aber am Leben, mitten im Leben, voller Lebensmut, so wird eine Pflegerin ihn später in einem kleinen, aber liebevollen Nachruf auf der Website des Pflegeheims beschreiben, ohne ihn je wirklich gekannt zu haben.Taubenmann war geduldig, vermutlich. Denn er hat sich Zeit gelassen, bis er zu mir gekommen ist. Er hat gewartet, geduldig, mit dem Schnabel, gewartet. Ich ziehe die Gabel samt Zinken aus dem kleinen graublauen Kopf. Ich lege die Gabel weg, gehe langsam um den Stuhl herum und setze mich ihm schräg gegenüber. Der ganze Körper mitsamt Hemd, Hose, Anzug und Krawatte schwankt auf dem Stuhl unmerklich und ganz sanft hin und her. Die Augen des Taubenmannes sind weit aufgerissen, der Schnabel geschlossen und ernst – eigentlich der normale Gesichtsausdruck einer Taube. Ich denke also, es ist okay. Alles ist okay.