Brandneue Traditionen

Die Straßen sind leer, bis auf Weiteres, heruntergelassene Rollläden vor den Bars und Restaurants. Nur im Fenster der Kneipe in unserer Straße hält ein schwindsüchtiges Lämpchen tapfer die Stellung. Irgendwer schreibt gerade einen Kommentar zu einem Bild, das Lena Meyer-Landrut zeigt, wie sie mit Kussmund und einem Hund posiert. Der Hund guckt nicht in die Kamera. Ich frage mich, ob er Lena Meyer-Landrut gehört. Falls ja, ist sein auf den Boden gehefteter Blick vielleicht nicht ausschließlich Ausdruck seiner Meinung zu diesem Bild. Die Vorstellung von ihr als Hundebesitzerin scheint mir irgendwie befremdlich. Hat „unsere Lena“ womöglich auch immer die Jacken- oder Hosentaschen vollgestopft mit kostenlosen, orangen Kottütchen von der Stadt? Ist ihr die komplizierte Choreografie des Vorgangs, die Ausscheidungen des Tieres mit der Tüte so aufzuheben, dass die Hand dabei auf keinen Fall mit den Fäkalien in Berührung kommt, bekannt? Stinken Meyer-Landruts Hände auch permanent nach Huhn, Rind, Käse oder Pansen? Genug der Spekulationen, ich müsste vermutlich das Instagram-Profil der Sängerin durchforsten, um die Antworten auf meine brennenden Fragen zu erhalten. Eine weitere Frage, die mich umtreibt: Ob die Menschen später wohl noch ohne das allabendliche Klatschritual klarkommen? Eine einfache, neue Tradition, die ohne großen Aufwand praktiziert werden kann. Man öffnet das Küchenfenster oder tritt kurz raus auf den Balkon; wenn man nicht sowieso gerade dort sitzt. Und schon hat man – Klapp, Klapp, Klapp – etwas echt Soziales und Gutes getan. Und liegt damit voll im Trend. Oder man kann sich, nicht zwangsläufig nüchtern, ans Fenster stellen und der Vorstellung hingeben, der Applaus gälte einem selbst; auch nicht übel – endlich die verdiente Anerkennung für das Lebenswerk einfahren! Läuft bei mir. Was stellt ihr euch am liebsten vor, wenn um neun geklatscht wird? Verratet es uns in den Kommentaren!